Bestandsgeschichte des Teilnachlasses Philippson
Bei der durch die Gestapo 1941 angeordneten Räumung seines Elternhauses in Bonn konnte Philippson seinen Hausstand lediglich notdürftig ordnen und neben seiner Bibliothek sowie einigen Möbelstücken nur wenige Dokumente in die ihm zugewiesene Wohnung mitnehmen. Die im Elternhaus verbliebenen Nachlasssachen, die z.B. 1956 von Eva Philippson1) in einem Brief erwähnt werden, müssen als verschollen gelten. Von einem umfänglichen dienstlichen Nachlass im ehemaligen Geographischen Institut ist nichts bekannt.2) Den größten Teil seiner älteren Korrespondenz, die er noch in die ihm zugewiesene Wohnung im Haus des Rechtsanwaltes Wollstein mitgenommen hatte, ließ er nach eigenem Bekunden bei seinem "plötzlichen Abtransport ins K.Z." verbrennen.3) Den übrigen Nachlass konnte der Direktor des Geographischen Institutes, Carl Troll, dadurch vor der sicheren Zwangsversteigerung4) retten, dass er sich von der Bonner Gestapo beauftragen ließ, "den gesamten Nachlass an Büchern, Karten, Bildern, Tagebüchern, Zeitschriften, Manuskripten etc. in der Wohnung" zu übernehmen.5) Dieser Bestand wurde 1944/45 wenigstens teilweise zusammen mit einigen Wertsachen der Familie Philippson und mit den Sammlungen des Geographischen Institutes ins fränkische Scheinfeld ausgelagert.6)
Nach Kriegsende wurden Philippson bei seiner Rückkehr aus dem KZ Theresienstadt in Bonn Bibliothek, Fotos, Manuskripte und Tagebücher zurückübereignet. Einen großen Teil des umfänglichen Buchbestandes verkaufte er an das Geographische Institut, die Universitätsbibliothek oder über größere Antiquariate.7) 1946 konnte sich H. Lehmann, der bereits in der Zwischenkriegszeit Kontakt zu Philippson aufgenommen hatte, von Berlin nach Bonn umhabilitieren, nicht zuletzt mit der Begründung, Philippson bei der Überarbeitung und Drucklegung der Manuskripte seiner "Griechischen Landschaften" zu unterstützen. Als Lehmann 1949 nach Frankfurt berufen wurde übernahm E. Kirsten die unterstützende Überarbeitung und Mitherausgabe des Lebenswerkes Philippsons.8) Nach dem Tod Philippsons im Jahr 1953 gingen sowohl die handschriftlichen Fassungen als auch die maschinenschriftlichen Abschriften der "Griechischen Landschaften" sofern die Drucklegung erfolgt war in den Besitz von Dora Philippson über. Mehrere Manuskripte, sowohl Originalhandschriften als auch maschinenschriftliche Abschriften, zwei Konvolute der Veröffentlichungen ihres Vaters und Fotos ihrer Stiefmutter Margarete Philippson übergab sie E. Kirsten.9) Die Judaika fielen an die Tochter Eva, die in Amsterdam lebte und bereits seit mehreren Jahren mit der Abschrift bzw. Reinschrift der in Theresienstadt aufgezeichneten Lebenserinnerungen ihres Vaters befasst war.10) Wie einer undatierten, aber noch von Eva Philippson unterzeichneten Zusammenstellung zu entnehmen ist, befanden sich 1962 noch alle Abschriften und wesentliche Teile des handschriftlichen Originals in ihrer Amsterdamer Wohnung.11) Ende 1963 bat Dora Philippson E. G. Lowenthal um Sichtung des Nachlasses ihrer verstorbenen Schwester und um Weiterleitung der Dokumente entsprechend der testamentarischen Verfügung an das "Leo Baeck Institute" bzw. das Archiv der Universität Bonn. So gelangten Teile des NL Philippson 1963 und 1964 an das "Leo Baeck Institute" (London, später New York) und nach Bonn in das Universitätsarchiv sowie an die von E. Kirsten geleitete Abteilung Historische Geographie im Geographischen Institut.12)
1980 gaben die Nachlassverwalter von Dora Philippson, Hanfried Flieder und Sieglinde Flieder-Lorenzen, Publikationen A. Philippsons, sonstige geographische Werke, eine Fotosammlung sowie Manuskripte ihres Vaters, die sich noch im Besitz der Verstorbenen befanden an das Geographische Institut.13) Leider wurden diese Materialien seinerzeit nicht mit den noch im Institut in der Franziskanerstraße befindlichen Beständen der ehemaligen Abt. f. Histor. Geographie zusammengeführt. Dies geschah erst 1987 beim Umzug der "Geographischen Institute" in die "Alte Chemie" in Bonn-Poppelsdorf. Den Bemühungen von Dipl. Georg. Astrid Mehmel ist es zu verdanken, dass im Verlaufe der Rekonstruktion und Edition von A. Philippsons Lebenserinnerungen 1992 seitens der Nachlassverwalter Restbestände des Nachlasses von Dora Philippson an das Geographische Institut weitergeleitet wurden.14) In diesen Zusammenhang stellte sich auch heraus, dass Teile des NL Philippson mit dem Nachlass des 1987 verstorbenen E. Kirsten in das Deutsche Archäologische Institut (DAI) in Berlin gelangten.15)
Im Herbst 1994 übergab Susanne Philippson dem Geographischen Institut persönlich Dokumente aus dem Besitz ihres verstorbenen Vaters Ernst Alfred Philippson. Diese betreffen die Rettungsversuche der Familie und Leo Waibels in den USA während der Jahre 1941/42 (AGIB NL Philippson 147). 1998 überließ Ruth Schlette dem Institut Briefe von A. Philippson an Rudolf Herzog, die sie von dessen Enkel Markwart Herzog erhalten hatte (AGIB NL Philippson 155).
Soweit der Verbleib einzelner Nachlassteile bekannt ist, verteilt sich der Nachlass Alfred Philippson auf folgende Institutionen: das Leo Baeck Institute in New York, das Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin, das Universitätsarchiv sowie das Archiv des Geographischen Instituts in Bonn.
Hans Böhm, April 2003
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1) AGIB NL Philippson 145. Zurück
2) Vermutlich sind Dokumente aus dem dienstlichen Nachlass Philippsons von dessen Nachfolger Leo Waibel in die Sonderdrucksammlung des Geographischen Instituts übernommen worden. Hierfür sprechen die zeitgenössischen Besitzstempel auf einigen Manuskripten (z.B. die Ansprachen von L. Mecking und F. Nussbaum zu Alfred Philippsons 65. Geburtstag – AGIB NL Philippson 124).
Zurück
3) BÖHM 1991a, S. 205 bzw. AGIB NL Philippson 151. Zurück
4) Zur Zwangsversteigerung s. Philippson an Major E. G. Brown vom 23.1.1946 (AGIB NL Philippson 15). Zurück
5) BÖHM u. MEHMEL 22000, S. LII. Ebd. S. XV Anm. 12 sowie Philippson 1996; 22000, S. 3. Zurück
6) Vgl. hierzu KELLER [1990, S. 2] sowie RANG [1945, S. 1]. Nach diesem Bericht vom 19.6.1945 befanden sich in den kriegszerstörten Räumen des Geographischen Institutes in der Nassestraße Manuskripte von A. Philippson, von ihm und seiner Frau aufgenommene Fotos aus dem Mittelmeerraum sowie einige Bücher. Diese sind demnach nicht mit nach Scheinfeld ausgelagert worden. Listen der ausgelagerten Materialien, darunter auch Fotos und Bücher aus dem Besitz von Philippson, befinden sich im Nachlass Troll (AGIB NL Troll 84 - z.B. Kisten 8 u. 18). Zum Ablauf der Auslagerung vgl. BÖHM 1991b, S. 301-311. Zurück
7) Vgl. verschiedene Auflistungen der Bücher z.B. in AGIB NL Philippson 22 oder in den Inventarbüchern der Institutsbibliothek. Zurück
8) FLEISCHMANN 1997. Zurück
9) Erklärung von D. Philippson und E. Kirsten, 19.5.1953 (AGIB NL Philippson 25) und Bescheinigung von E. Kirsten vom 24.7.1953: "zwecks Aufnahme in die Philippson-Bibliothek der Abt. f. Histor. Geographie des Georg. Instituts der Univ. Bonn" (AGIB NL Philippson 25). Die Fotos von Margarete Philippson fielen als Erbgut ihrem Bruder, H. Kirchberger, zu, der sie unter Eigentumsvorbehalt Kirsten übergab (AGIB NL Philippson 25).
Zurück
10) Vgl. Brief von E. Kirsten an C. Troll vom 1.6.1953 (AGIB NL Troll 366) und BRANDENBURG u. MEHMEL 1996, S. 159.
Zurück
11) Vgl. hierzu BÖHM u. MEHMEL 1996; 22000, S. XXVI-XXVII. Zurück
12) Dazu Briefe J. Soetendorp / D. Philippson, 4.4.1963, 19.1.1964 (AGIB NL Philippson 143) und Handakte Mehmel "Alfred Philippson": Die Abschrift leitete Lowenthal 1966 nach Veröffentlichung eines Artikels über Philippson an das LBI weiter. Die Inventarlisten des LBI (AGIB NL Philippson 139, 144) sowie die Handakte Mehmel "Alfred Philippson" (Abgleich der Inventarlisten am Bestand in New York mit Anmerkungen und Ergänzungen) geben eine Übersicht der 1964 und später übersandten Materialien zu Ludwig Philippson, der Familie Philippson und zu Alfred Philippson. Der Gründer des LBI, Leo Baeck, der wie Philippson nach Theresienstadt deportiert worden war, besuchte Philippson 1947 in Bonn anlässlich einer gemeinsam mit E. G. Lowenthal durchgeführten Informationsreise über die Lage der überlebenden Juden in Deutschland (BÖHM u. MEHMEL 1996; 22000, S. XXVI Anm. 50).
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13) Vgl. AGIB NL Philippson 144: Dora Philippson starb am 18.8.1980. In ihrem Testament vom 1.10.1974 verfügte sie, dass die in ihrer Bibliothek befindlichen Werke ihres Vaters der Universität übergeben werden können. Anderes Schriftgut wird nicht erwähnt. Um welche Materialien es sich handelte, die am 20.8.1980 übergeben wurden, ist einer Liste zu entnehmen, die ca. 1980 von dem damaligen Bibliothekar des Geographischen Institutes, J. Hofmann, angefertigt wurde (AGIB VI-26: Alfred Philippson). Zurück
14) Diese Dokumente wurden in der Augias-Datenbank im Provenienzfeld mit "NL Dora Philippson 1992" gekennzeichnet. Zurück
15) Vgl. hierzu BÖHM u. MEHMEL 1996; 22000, S. XI u. XXVII sowie Schreiben von M. Maischberger, DAI, an S. Richter vom 7.12.1998. Zurück
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